BREMEN

Seit der Gründung des Bistums Bremen im Jahr 788 durch Karl den Großen gab es an dieser Stelle eine Bischofskirche, die über die darauffolgenden Jahrhunderte hinweg zerstört, wiederaufgebaut und stets vergrößert wurde. Trotz der Auflösung des späteren Erzbistums Bremen-Hamburg im Jahr 1648 verlor der dem hl. Petrus geweihte Dom nie seine Bedeutung, wenngleich das Bauwerk gerade in dieser Zeit verfiel. Eine umfangreiche Restaurierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts bescherte dem Bremer St. Petri-Dom sein heutiges Erscheinungsbild, wobei wesentliche Baubestandteile noch auf das Hoch- bzw. Spätmittelalter zurückgehen.

 

Für eine solch bedeutende Kirche eine Geläuteerweiterung und -sanierung zu planen ist mit vielen schlaflosen Nächten verbunden. Doch beginnen wir am Anfang.

Der Verfasser hatte im Januar 2017 die Möglichkeit, das Bremer Domgeläut eingehend und umfassend zu inventarisieren. Hierbei konnten teils erhebliche Mängel an der technischen Anlage sowie an der bis dato größten Domglocke namens Brema, die 1962 von der Glockengießerei Otto in Bremen-Hemelingen gegossen wurde, festgestellt werden. Die Glocke war damals keine zehn Jahre nach ihrem Guss gesprungen. Ein über 1,10 m langer Riss ließ die große Bremer Domglocke verstummen. Zahlreiche Gutachten wurden damals anschließend eingeholt. Der Beratungsausschuss für das deutsche Glockenwesen plädierte sogar für einen Neuguss der Glocke. Doch die St. Petri-Domgemeinde entschied anders. Die Glocke sollte durch autogenes Schweißen repariert werden. Während des Erhitzungsprozesses im bayrischen Nördlingen kam es zu lauten Knallgeräuschen aus dem Ofen, woraufhin das Erhitzen der Glocke unterbrochen wurde. Es stellte sich heraus, dass im Bereich der Krone und Kronenplatte erhebliche Fehlstellen vorhanden waren, die nach dem Guss noch in der Gießerei mit Beton kaschiert worden sind und mit Silberbronze überstrichen waren. Die äußerlich sichtbaren Fehlstellen sowie der Riss wurden im Nachgang zwar geschlossen, allerdings ließ die Qualität der Schweißnähte sehr zu wünschen übrig. Dies war mit einer der Gründe, warum auf Empfehlung des Verfassers die Glocke noch 2017 aus Sicherheitsgründen stillgelegt wurde. Weitere Fehlstellen innerhalb der Glocke waren nicht auszuschließen.

 

Erst 2022 kam Bewegung in das Projekt. Die St. Petri-Domgemeinde beschloss auf Empfehlung des Verfassers die Rekonstruktion des bis zum 1. Weltkrieg vorhandenen sechsstimmigen Domgeläutes unter Beibehaltung der drei anderen Glocken von 1433 und 1951, die mit neuer Technik und neuen Beschlägen samt Klöppeln ausgestattet werden sollten. Die große Brema wurde somit ausgemustert. Nachdem alle nötigen Spendengelder zusammengetragen und entsprechende Angebote von Glockengießereien und Kirchturmtechnikfirmen eingeholt waren, wurden mit dem Glockenguss die Glockengießerei Grassmayr im österreichischen Innsbruck und mit der Montage und technischen Ausrüstung aller Glocken die Firma Glockenläute- & Turmuhrensysteme Gravermann aus Gescher beauftragt. Im Juli 2022 begann Glockengießermeister Peter Grassmayr mit dem Einscannen der drittgrößten Domglocke namens Hansa, welche als musikalisches Vorbild für die drei neu zu gießenden Domglocken dienen sollte. Mit den Formarbeiten für die große Domglocke wurde im Oktober 2022 begonnen. Der Guss fand am 16.12.2022 in Innsbruck statt. Hierbei wurden insgesamt elf Tonnen Bronze für die drei neuen Bremer Domglocken benötigt. Kurz vor Weihnachten des selben Jahres konnte schon die zukünftig zweitkleinste Domglocke entmantelt werden. Die anderen Glocken wurden erst im Januar des darauffolgenden Jahres ausgepackt. Nach der Reinigung der Klangkörper zeigte sich, dass leichte Tonkorrekturen bei den Schlagtönen vonnöten waren. Diese wurden dann noch rechtzeitig vor der Werkabnahmeprüfung vorgenommen.

Der Verfasser mit den drei neuen Bremer Domglocken bei der Werkabnahmeprüfung.

Bei der Prüfung in der Gießerei zeigte sich vor allem das ungeheure Klangpotential der neuen großen Domglocke! Durch die musikalisch und technisch einwandfreie Leistung der Firma Grassmayr stand also der positiven Abnahmeempfehlung nichts mehr im Wege. Somit konnten die drei Glocken in der Woche darauf per Tieflader nach Bremen gebracht werden. In einer Willkommensfeier vor dem Dom wurden die Glocken am 01.03.2023 begrüßt. In den darauffolgenden Tagen übernahm die Firma GTG aus Gescher dann die Montage der drei neuen und die Teilsanierung der drei vorhandenen Glocken.

 

Das erste umfangreiche Testläuten vor der Karwoche 2023 zeigte genau das vom Verfasser geplante und erwartete Ergebnis: die drei neuen Glocken fügen sich, dank der angepassten Rippenkonstruktion, nahtlos in den vorhandenen Altbestand ein. Die große Brema fundamentiert das Geläut nun wesentlich besser als ihre klangschwächere Vorgängerin. Durch die im Verhältnis hohen Läutewinkel verfügen alle Glocken einzeln, in Kombinationen und im Zusammenklang über ein beeindruckendes Maß an Klangdynamik. Ein polyphoner Klang erreicht das Ohr der Zuhörer. Mit diesen Feststellungen stand dem offiziellen Erstläuten und der Weihe am Ostersonntag 2023 nichts mehr im Wege.

Mehr als 2500 Menschen versammelten sich um den Dom, als das "neue" Domgeläut zum ersten Mal erklang. Im Anschluss an den festlichen Kantatengottesdienst fand ein halbstündiges Glockenkonzert statt, bei welchem die Domglocken einzeln und in Kombinationen erklangen, um den Zuhörern auch die nunmehr theoretisch vorhandene Vielfältigkeit des Geläutes zu präsentieren. Der St. Petri-Dom zu Bremen besitzt nun ein Geläut, welches "eines Domes würdig" ist!

Die neue, 7.000 kg schwere Brema des St. Petri-Doms zu Bremen.

Technische und musikalische Daten

 

Brema (Glocke I)

 

Gießer: Glockengießerei Grassmayr, Innsbruck (A)
Gussjahr: 2022
Material: Bronze

Durchmesser: 2144 mm
Schräge Höhe: 1716 mm
Schlagringstärke: 161 mm
Gewicht: 7.000 kg

Schlagton: g°-16,8
Unterton: G-55,3
Prime: g°-35,6
Terz: b°-24,5
Quinte: d'-26,8
Oktave: g'-15,4

Abklingdauer (gesamt): 182 Sekunden

 

(c) Matthias Dichter - Bezugston ist a' = 440 Hz, alle Abweichungen der sog. gleichstufig temperierten Stimmung werden in Halbton-100steln (Cents) angegeben

 

Inschrift (Schulter):

 

+ RICHTE UNSERE FÜßE AUF DEN WEG DES FRIEDENS. LUKAS 1,79

 

Inschrift (Flanke; vorderseitig):

 

BREMA

 

Inschrift (Wolm):

 

+ + + GEGOSSEN 1894 + GESPRUNGEN 1919 + UMGEGOSSEN 1925 + EINGESCHMOLZEN 1943 + NEU GEGOSSEN 1962 + GESPRUNGEN 1972 + NEU GEGOSSEN 2022

 

Weitere Verzierungen:

 

- umlaufender Palmettenfries auf der Schulter

- Gießerzeichen oberhalb des Wolms auf der Rückseite

 

Gerechtigkeitsglocke (Glocke V)

 

Gießer: Glockengießerei Grassmayr, Innsbruck (A)
Gussjahr: 2022
Material: Bronze

Durchmesser: 1132 mm
Schräge Höhe: 906 mm
Schlagringstärke: 89 mm
Gewicht: 1.050 kg

Schlagton: fis'-7,1
Unterton: fis°-50,5
Prime: fis'-28,2
Terz: a'-24,7
Quinte: cis''+19,4
Oktave: fis''-8,6

Abklingdauer (gesamt): 127 Sekunden

(c) Matthias Dichter - Bezugston ist a' = 440 Hz, alle Abweichungen der sog. gleichstufig temperierten Stimmung werden in Halbton-100steln (Cents) angegeben

 

Inschrift (Schulter):

 

+ TRACHTET ZUERST NACH DEM REICH GOTTES UND SEINER GERECHTIGKEIT. MATTHÄUS 6,33

 

Weitere Verzierungen:

 

- umlaufender Palmettenfries auf der Schulter

- Gießerzeichen oberhalb des Wolms auf der Rückseite

 

Schöpfungsglocke (Glocke VI)

 

Gießer: Glockengießerei Grassmayr, Innsbruck (A)
Gussjahr: 2022
Material: Bronze

Durchmesser: 1059 mm
Schräge Höhe: 847 mm
Schlagringstärke: 83 mm
Gewicht: 863 kg

Schlagton: g'+1,6
Unterton: g°-40,7
Prime: g'-22,9
Terz: b'-12,7
Quinte: d''+19,9
Oktave: g''+1,3

Abklingdauer (gesamt): 115 Sekunden


(c) Matthias Dichter - Bezugston ist a' = 440 Hz, alle Abweichungen der sog. gleichstufig temperierten Stimmung werden in Halbton-100steln (Cents) angegeben

 

Inschrift (Schulter):

 

+ DU SENDEST AUS DEINEN ODEM UND MACHST NEU DIE GESTALT DER ERDE. PSALM 104,30

 

Weitere Verzierungen:

 

- umlaufender Palmettenfries auf der Schulter

- Gießerzeichen oberhalb des Wolms auf der Rückseite

Und wie der Klang im Ohr vergehet,

Der mächtig tönend ihr entschallt,
So lehre sie, dass nichts bestehet,

Dass alles Irdische verhallt.

Friedrich von Schiller

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© Matthias Dichter